Alexander Mayer

Fürth 2006

 

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Verortung von Geschichte - Überlegungen zu den Ursprüngen Fürths

Alexander Mayer



Sachkultur

Die Reise durch die Jahrtausende beginnt mit der Altsteinzeit, als Menschen den Anfangspunkt von dem setzen, was wir heute Kultur nennen. In der heutigen Zeit wird oft vergessen, dass nicht die Herstellung von Werkzeug, sondern das Nachdenken über das Woher und Wohin, über Jenseits und Dieseits die wesentlichen Merkmale des Menschseins darstellen, die sich auch in der materiellen „Sachkultur“ niederschlagen, letztere ein zentrales Objekt archäologischen Forschens. Naturgemäß steht aber bei der Produktion von Gebrauchsgegenständen („Sachkultur“) die Meisterung des täglichen Lebensunterhaltes quantitativ im Vordergrund, was sich entsprechend in den archäologischen Funden niederschlägt. Der Lebensunterhalt wurde in der Steinzeit auf eine neue Basis gestellt, beginnend in der neolithischen Revolution wandelte sich der Mensch vom Jäger und Sammler zum Ackerbauer, vom Nomaden zum zunehmend sesshaften Bewohner von Siedlungen.

Wesentliche Faktoren der Entwicklung waren neben ideellen und religiösen Faktoren unzweifelhaft auch Erfindungen. Zuvorderst denkt man aus heutiger Sicht vielleicht an das Rad, das aber wegen zumeist fehlender geeigneter Wege zunächst nur eingeschränkt einsatzfähig und mancherorts vielleicht kulturellen Zwecken vorbehalten war.

Wichtiger waren aber dennoch neben der Werkzeugherstellung die immer bessere Beherrschung des Feuers als erster regelbarer Energielieferant, die Domestizierung von Tieren, der Ackerbau, Zelt- und Hausbau, erste medizinische Kenntnisse - für letzteres sei als Beispiel die Hausapotheke der spätneolithischen Gletschermumie „Ötzi“ genannt, die antibiotischen und blutstillenden Birkenporling enthielt. Sicherlich kann noch weiteres aufgezählt werden, über die Gewichtung lässt sich streiten, in jedem Fall: Die ersten Ansätze unserer heutigen Sachkultur entstanden. Die Metallverarbeitung und -verhüttung bildeten einen weiteren Meilenstein, so bedeutend, dass ihr ähnlich der Steinbearbeitung die Bezeichnung ganzer Epochen vorbehalten ist. Zunächst stand mit kaum legiertem Kupfer nur ein sehr weiches Metall zur Verfügung (verwendet z.B. in "Ötzis Beil"), bald fanden sich Methoden zur Verbesserung und Metall wandelte sich vom wertvollen Statusobjekt zunehmend zum vollwertigen, bald überlegenem Material zur Herstellung von Werkzeugen und Waffen. Im Beitrag zu den Metallzeiten wird dieser spannende geschichtliche Abschnitt mit Funden aus Neuhof/Zenn, Weinzierlein und Fernabrünst (Landkreis Fürth), Mannhof, Atzenhof und Fürth selbst (Lehmusstraße) sorgfältig illustriert.

Mit der römischen Kaiserzeit und den frühen Germanen gelangen wir in zeitliche Bereiche, in denen vermehrt schriftliche Aufzeichnungen über die in unserer Region lebenden Völkerschaften vorliegen. Aber damals wie heute galt und gilt, dass mit schriftlichen Zeugnissen die Wirklichkeit nur sehr unvollkommen abgebildet wird, die archäologische Erfassung und die heutige denkmalpflegerische Erhaltung der Sachkultur ist mehr als nur eine Ergänzung der schriftlichen Geschichtsschreibung.

Der Einbruch der Hunnen um 375 n. Chr. brachte eine relativ stabile politische Landschaft außer Rand und Band, die eigentliche Völkerwanderung begann. Erst um 900 n. Chr. hatten fast alle Völker auf dem europäischen Kontinenten ihren endgültigen Wohnsitz erreicht, die Formierung unseres Europas begann.

Ursprünge Fürths

Viele Historiker setzen den historischen Anfangspunkt der genuin deutschen Geschichte auf die Wahl des Frankenherzoges Konrad I. zum König - Ort des Geschehens: Forchheim. Der formale Anfangspunkt deutscher Geschichte liegt also nur wenige Kilometer von unserem heutigen Fürth entfernt, es drängt sich die Frage auf, seit wann gab es die feste Ansiedlung Fürth, was für eine Bedeutung hatte sie in der Zeit vor der ersten zweifelsfreien urkundlichen Erwähnung an Allerheiligen 1007. Heinrich II. stellte an jenem Tag mehr als zwei Dutzend Urkunden aus, allesamt Schenkungen an das neugegründete Bistum Bamberg. Die Schriftstücke unterscheiden sich im Wortlaut kaum; in unserem Fall weichen nur die beiden Eingangsätze und wenige Worte, darunter die Bezeichnung „Furti“, vom Standardtext ab.

Zur Frage nach der ersten Ansiedlung, nach dem ersten Stützpunkt in Fürth gibt es verschiedene Theorien, aber kaum Indizien. Ich selbst vermute, dass sich die namensgebende Furt im Bereich der heutigen Dietrich-Bonhoeffer-Brücke befand. Dafür spricht zunächst einmal die Tatsache, dass in alten Karten an dieser Stelle kleine Flussinseln eingezeichnet sind, mithin also eine Untiefe bestand (siehe unten Abb. 1 u. 2).

Auch ist es seltsam, dass der von Frankfurt/Würzburg kommende Fernhandelsweg nach der Maxbrücke schon ursprünglich diese eigenartige S-Kurve Königstraße-Marktplatz-Gustavstraße genommen haben soll. Weiterhin ist mir aufgefallen, dass die gedankliche Verlängerung der Gustavstraße in gerader Linie über die Bonhoefferbrücke zur abgegangenen Martinskapelle führt und von dort weiter zur Feldstraße (siehe unten, Abb. 3). Das macht insofern Sinn, als bei den Straßenbedingungen des Früh- und Hochmittelalters ein Aufstieg im Bereich Hochstraße/ Fritz-Mailaenderweg für die damaligen Ochsenkarren eventuell zu beschwerlich war, im Bereich der Feldstraße ist dies wesentlich einfacher, wie jeder Fahrradfahrer als „experimenteller Archäologe“ selbst ausprobieren kann. Wer selbst da nicht hochkam, für den gab es vielleicht noch den hypothetischen Weg über das Farrnbachtal (heutige Mühltalstraße), der praktisch jeglicher Steigung entbehrt. Die auffällig tiefe Eingrabung des Fritz-Mailaender Weges könnte auch später und/oder – für Hohlwege im Sandstein nicht untypisch – durch den Transport von Holzeinschlag zur Siedlung verursacht sein ("Hard" bedeutet ursprünglich bewaldete Höhe), was die für Fuhrwerke eher ungünstige direkte Wegführung zum Gefälle erklären würde.

Aber zurück zur lokalpatriotisch bedeutsamen Frage, gab es einen Königshof und wenn ja, wo war er dann? In den gleichsam amtlich geführten Reichsannalen „Annales regni Francorum“ (zufälligerweise gerade seit 793 zeitgenössisch) heißt es zum Aufbruch König Karls vom „großen Graben zwischen Altmühl und Rednitz“ an der Europäischen Wasserscheide (zwischen dem heutigen Weißenburg und Teuchtlingen) im Jahre 793 „Inde per Radantia in Mohin navali iter peragens, natalem Domini celebravit ad sanctum Chilianum in Wirzinburg“, also: „Von hier fuhr er auf der Rednitz zu Schiff in den Main und feierte Weihnachten beim heiligen Kilian in Würzburg.“ Wegen der Lage an einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt und aufgrund des Abstandes zu den nächsten belegten oder vermuteten Stützpunkten erscheint es plausibel, dass es in Fürth eine solche königliche Etappe gab, an der im Jahre 793 der Frankenkönig Karl (später „der Große“) in jedem Fall mit Treidelkähnen vorbeifuhr und dort– falls es diesen Stützpunkt („Königshof“) gab – wohl eine Nacht verbrachte.

Ludwig das Kind stellt im März 907 zwei Urkunden in loco Furt dicto aus, eine Schenkungsurkunde für seine Mutter am 18. März und tags darauf eine Urkunde bezüglich eines Besitztausches zwischen den Klöstern Fulda und Echternach. Historiker gehen zwar davon aus, dass es sich wahrscheinlich um unser Fürh handelte. Zwischen November 906 und Herbst 907 liegen keine weiteren Quellen vor, die den Aufenthaltsort des Königs nennen. Dies ist vor allem deswegen bedauerlich, als die beiden Urkunden eine Übernachtung des Königs belegt hätten.



Verortung von Geschichte

Die „Verortung“ von Geschichte war und ist immer eine Frage von Standortfaktoren, deren Wertigkeiten sich ändern können. Meine Vermutung: Ausschlaggebender Standortfaktor bis zu den Ungarneinfällen war für unser Fürth die Verkehrsgunst, die sich sogar im Namen niederschlug, und diese Gunst war vor allem am Standort direkt am Fluss gegeben, weswegen ich den ursprünglichen Stützpunkt bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts dort vermute.

Die Hochwassergefahr war nachweislich weniger ausschlaggebend, sonst hätten beispielsweise die Franken nicht Köln zum Rhein hin erweitert. Auch legen Ausgrabungen die Vermutung nahe, dass das Landschaftsprofil im Rednitz- / Regnitzgrund in der Vergangenheit anders aussah als heute, so wurde bei Kanalbauarbeiten eine 2 Meter dicke Sedimentschicht festgestellt. Ich vermute weiterhin, dass erst die Bedrohung des Reiches in der Zeit Ludwig des Frommen (814-840) und vor allem die Verheerung Deutschlands im 10. Jahrhundert unsere damaligen Fürther dazu bewog, den Stützpunkt und die daraus entstehende oder schon bestehende Siedlung auf den etwas sicheren Bereich um die heutige Michaelskirche zu verlegen. Die vorhandenen Quellen sprechen für den Raum des heutigen Deutschlands auch ganz allgemein erst ab dem 9. Jahrhundert von Befestigungen der Pfalzen, mit Ausnahme der im zuvor neueroberten Sachsen angelegten Anlagen wie z.B. Paderborn.

Durch entsprechende Funde ist belegt, dass der nur wenige Tagesmärsche entfernte Hesselberg durch die Ungarn erstürmt wurde, was sicherlich als akute existenzielle Bedrohung wahrgenommen wurde. Vielleicht war diese Verschiebung der Standortfaktoren-Wertigkeit von der Verkehrsgunst zu verteidigungstechnischen Aspekten ein wichtiger Faktor für eine aus heutiger Fürther Sicht äußerst ärgerliche Weichenstellung: Viel besser als der nach Osten offene Sporn um St. Michael war der zu Beginn des 10. Jahrhunderts vielleicht noch einsame Felsen im Talkessel zu verteidigen, auf dem heute die Nürnberger Burg steht, weswegen sich die Herrschenden immer mehr für jenen den Fürthern bis heute ominös gebliebenen Ort interessierten.

Die Schenkungsurkunde aus dem Jahre 1007 als erste sicher Erwähnung Fürths wurde wahrscheinlich im 12. Jahrhundert ergänzt, wobei sich der beauftragte „Fälscher“ bemühte, die Handschrift des Originals nachzuahmen. Diese Ergänzungen sind ein wertvolles Zeugnis für die Fürther Verhältnisse in der Stauferzeit: Der Bamberger Vogt ist des Zusatzes zufolge an den zweimal jährlich stattfindenden Gerichtstagen im Fürther placitum berechtigt, Arbeitsdienstleitungen und die Lieferung von Lebensmittel in Anspruch zu nehmen, die da wären: verschiedene Sorten von Getreide, zwei Schweine, ein Ferkel, sechs Käse, hundert Eier und acht Hühnchen sowie eine „Urne“ Wein, aushilfsweise „Met“ und zwei „Urnen“ Bier – entsprechend groß muss die Gefolgschaft des advocatus gewesen sein.


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Wo lag die Furt?

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Abb. 1.: Auf dem Kartenausschnitt aus den 1920er Jahren lässt sich noch deutlich die Insel im Bereich der heutigen Bonhoeffer-Brücke und das Altwasser in Höhe der Heimgartenstraße erkennen.


Abb. 2.: Im diesem Planausschnitt aus dem Jahre 1789 ist die Flussinsel zwischen Gustavstraße und Martinskapelle deutlich erkennbar, letztere wird in der Originallegende als erstes angeführt, ihr wurde also damals noch große Bedeutung zugemessen. Kartenausschnitt (verändert) aus: Erhard Andreas Saueracker, Versuch einer Chronologisch-Diplomatisch-Statistischen Geschichte des Hofmarktes Fürth. Nürnberg und Leipzig 1789..


Abb. 3: Auf dem Kartenausschnitt ist der vermutete Verlauf des mittelalterlichen Handelswegs geradlinig eingezeichnet, der Weg verlief wohl eher unregelmäßig durch die Flußebene.