Alexander Mayer

2002

 

Zu den Specials


 



Verwandte in ganz Europa

 

Verwandte in ganz Europa

Das Fürther Stadttheater ist ein herausragendes Bauwerk in Fürth und steht exemplarisch für die Stilepoche des Historismus, die Fürth in baulicher Hinsicht so grundlegend geprägt hat. Das Stadttheater spiegelt die Zeit seiner Entstehung wieder, ist aber auch untrennbar verbunden mit dem Architektenduo Fellner und Helmer, die für stilistische Bezüge in ganz Europa sorgten.

 Zeit des Theaterbaus

Die Architekten Ferdinand Fellner (1847-1916) und Hermann Gottfried Helmer (1849 - 1919) wirkten in einem Zeitraum, der sich ziemlich genau mit der Lebensdauer des Wilhelminischen Kaiserreiches deckt. Während die Regierenden schon bald nach der Reichsgründung von 1871 über den kommenden großen Krieg nachdachten, fand das Bürgertum immer mehr Freude an Fortschritt, Wohlstand und Einkommen, mit denen die lästigen, vermeintlich mittelalterlichen metaphysischen Fragestellungen nach dem Sinn unserer Existenz beiseite gedrängt werden konnten. Es war aber auch die Zeit des europäischen Theaterbaus, zwischen 1848 und dem Ersten Weltkrieg entstanden auf dem europäischen Kontinent mehr als 1500 Theaterneubauten.

 Die Opéra Garnier in Paris war für viele Architekten des Historismus ein Vorbild. Foto: A. Mayer

Der Historismus

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Beginn des 20. Jahrhunderts wurde von den Zeitgenossen als eine Epoche größter Umbrüche aller Lebensbereiche empfunden. Einerseits herrschte in diesen Jahren ein kaum gebrochener Fortschrittsglaube, andererseits flüchtete man angesichts der immer unübersichtlicheren, oft als „heillos“ empfundenen Gegenwart in eine mythisch verklärte Geschichte. Der Spagat zwischen rationaler Technik und vielfach irrationaler Geisteshaltung, die sich in entsprechender Stilistik ausdrückte, kennzeichnete nicht nur die Architektur jener Jahre, sondern auch das Lebensgefühl und damit die ganze Kultur der Epoche, was ideologisch haarsträubende Folgen haben sollte. Architektonisch waren die Folgen dagegen eher liebenswert und fanden ihren Ausdruck im Historismus. Der Historismus sucht die Aussage einer vergangenen Stilform, die sich wiederum aus mehr oder minder fundierten Geschichtskenntnissen ableitete. Die italienische Protorenaissance galt als Sinnbild für die wohlhabenden italienischen Städte in der Übergangszeit vom Mittelalter zur Neuzeit und wurde folgerichtig im Fürther Rathaus zitiert. Das Barock repräsentierte Macht, Wohlstand und Würde, so griffen wohlhabende Bürger die alten Repräsentationsformen auf, um dem neuen Geld den Anstrich von Herkommen und Alter zu geben. Der Rekurs auf die griechische Antike verwies auf das Ideal der Demokratie und des Gemeinschaftsgeistes, aber vor allem auch auf die Anfänge des Theaters. Barock und griechische Antike werden in der Fassade des Fürther Stadttheaters ausgiebig zitiert, bei der thronenden allegorischen Frauengestalt - anhand der dreisaitigen frühgriechischen Leier wohl als Muse zu identifizieren - scheint mir etwas Jugendstil und Symbolismus anzuklingen, die teilweise in der Tradition des Historismus zu sehen sind, andererseits aber auch schon eine Gegenbewegung darstellen. Fellner&Helmer gestalteten die ganz überwiegende Zahl ihrer Theaterfassaden in der Art einer antiken „Tempelfront“ mit Giebel, in Fürth unterbrochen durch einen von „korinthischen“ Säulenpaaren gestütztem Portalbogen.

Geschichte des Theaters

Nun hatte der Rekurs auf den griechischen Ursprung des Theaters viele Bruchstellen, vor allem hatten im antiken Athen noch die ganze freie Einwohnerschaft im Dionysostheater Platz, der Geburtsstätte der Tragödie. Nahebei im Olympieion finden sich noch heute erhaltene korinthische Säulen, deren Bauform am Fürther Stadttheater zitiert wurde. Das griechische Theater war zunächst tief im Kult eines Gottes verwurzelt, aber schon das römische diente nur mehr der Unterhaltung. Im Mittelalter musste für das Theater wieder ein neuer Ansatz gefunden werden, sie bot sich in Oster- und Weihnachtsspielen, die dem Volk das Evangelium nahe bringen sollten.

Das Treppenhaus der Opéra Garnier Foto: A. Mayer. .

Aus dem geistlichen Spiel entwickelte sich das weltliche Theater, erst im 16. Jahrhundert gab es in England wieder die eigenständige Theaterbauform, an den Höfen der italienischen Renaissancefürsten entwickelte sich die noch heute gültige Grundform des Theaterbaus

Fassadengestaltung nach großen Vorbildern

Bis weit in das 18. Jahrhundert - mancherorts bis ins 19. Jahrhundert - hinein zeigten die Theater ein schlichtes und anspruchsloses Gesicht wie das alte Fürther Theater an der Ecke Rosen-/Theaterstraße. Das 19. Jahrhundert verlangte nach ganz neuen Konzepten, das Hoftheater entwickelte sich zum Stadt- oder Nationaltheater. Der Theaterbau stieg erst um 1800 zu einem eigenständigen Bautypus auf, die Fassade sollte den Stellenwert des Gebäudes versinnbildlichen. Gottfried Semper war einer der ersten, der dieses Prinzip zunächst mit dem Ersten Dresdner Hoftheater (1838-1841) und später mit der  „Semperoper“ (1871- 1878) verwirklichte. Neben der Hofoper in Wien (1861 - 1869) muss als besonderer Höhepunkt sowohl des Historismus wie auch des Theaterbaus die Pariser Oper (1861-1874) von Charles Garnier im neubarokken Stil genannt werden, wohl das prächtigste und mit über 11.000 Quadratmetern das an Fläche größte Theater der Erde, auch wenn seine 2.200 Sitzplätzen von einigen anderen Theatern noch übertroffen wird (z.B. von der New Yorker Metropoliten Opera mit nicht weniger als 3.800 Plätzen). Vor allem die von Garnier aus verschiedenfarbigen Marmor gestaltete, großartige Haupttreppe gilt als Meisterwerk, auch wenn sie auf den heutigen Betrachter etwas arg düster wirkt. Damals galt diese Oper jedoch als Höhepunkt nicht nur des öffentlichen Geschmacks, sondern auch des gesellschaftlichen Lebens, dem denn auch mit einer riesigen Eingangshalle, einem großen Foyer und dem bis zum Dach reichenden Treppenhaus mehr als ein Drittel der gesamten Anlage gewidmet wurde.

Fellner & Helmer

Fellner&Helmer ließen immer wieder Elemente dieser Monumentalbauten in ihre Theater
einfließen. Hermann Helmer aus Harburg (heute ein Stadtteil von Hamburg) trat 1868 in das Wiener Büro des gleichnamigen Vaters von Ferdinand Fellner ein, der 1871 starb, so daß Ferdinand Fellner junior das Büro übernahm. Fellner und Helmer begannen jeweils ihr erstes Theater im Jahre 1870, Helmer wurde 1873 gleichberechtigter Partner, im Jahre 1874 verwirklichten die beiden erstmalig gemeinsam in Budapest ein Theater. Innerhalb von nur 43 Jahren entstanden aus ihren Entwürfen 48 Theater in 39 Städten. Der Wirkungskreis wird im Norden von Hamburg, im Süden von Sofia, im Westen von Zürich und im Osten von Odessa begrenzt. Fürth nimmt in der mir vorliegenden Werkliste den 35. Platz ein (nach anderen Angaben Nummer 42), ist also schon fast ein Spätwerk. Fellner&Helmer lieferten Konfektionsware, sie nahmen an zahlreichen Architektenwettbewerbe teil und konnten nur wenige nicht für sich entscheiden. Mit ihrer Architektur von der Stange waren sie konkurrenzlos billig, sie garantierten Qualität bei kurzer Bauzeit. Das Fürther Theater kostete 1,1 Millionen Mark, das große Grazer Stadttheater mit immerhin 2.000 Sitzplätzen 950.000 Gulden, das waren etwa 1,7 Millionen Mark. Insgesamt kosteten sämtliche 48 Fellner&Helmer Theater etwa genau so viel wie die schon erwähnte Grand Opera in Paris (Palais Garnier) mit 2.200 Sitzplätzen. Ob jetzt die Grand Opera oder die 48 Theater von Fellner&Helmer mehr für die europäische Kultur geleistet haben, das möge jeder selbst für sich entscheiden.

Europäische Verwandte

Eine Besonderheit des Fürther Theaters fällt im Werkkatalog auf: Als Bauherr werden die
„Stadt Fürth und ihre Bürger“ verzeichnet. Wie in Fürth noch heute allgemein bekannt, waren nach einer Ausschreibung im Jahre 1898 innerhalb weniger Tage fast 300.000 Mark für die Errichtung eines neuen Theaters gezeichnet worden, wobei die theaterbegeisterten Fürther jüdischer Herkunft überproportional spendabel waren - aus anderen europäischen Städten - etwa Wien - lässt sich in Sachen Theater ähnliches berichten. Ebenfalls allgemein bekannt ist, dass das Fürther Theater ein Zwillingsbruder im heute ukrainischen Czernowitz hat, in dem übrigens seinerzeit ebenfalls ein großer Teil der Bevölkerung jüdischer Herkunft war.

Portalbogen aus Paris?

Mit unserem Theater und jenem in Czernowitz tauchte kurzzeitig ein Novum im Schaffen von Fellner&Helmer auf: Ein dominierender Portalbogen, der nicht einem Giebel oder anderen
Elementen untergeordnet ist, wie bei einigen Vorgängerbauten. Zufall?

Wohl kaum: Von der Epoche der Impressionisten bis etwa zu Beginn des Zweiten Weltkrieges war Paris die Welthauptstadt der Kunst, und seinerzeit

Ein zentraler Anlaufpunkt bei der Pariser Weltausstellung 1900: das Petit Palais.

Der charakteristische, dominante Portalbogen fand Nachahmer ... Foto: A. Mayer

Das Fürther Stadttheater in einer Aufnahme um 1910. Foto: Stadtarchiv Fürth.

 

verstanden sich die Architekten noch als Künstler. Die Pariser Weltausstellung war in Europa das gesellschaftliche Ereignis nicht nur des Veranstaltungsjahres 1900, ein architektonischer Höhepunkt dort war das neobarocke Petit Palais (1897- 1900) von Charles Girault mit seinem markanten Bogenportal, mithin ein Hauptwerk des späten Historismus (vgl. Abb. S. 5). Auch andere Architekten ließen sich beeinflussen, so ähnelt das ebenfalls 1902 fertig gestellte Jugendstil-Stadttheater in Gera von Heinrich Seeling (1852 – 1932, Erbauer des Nürnberger Stadttheaters) unserem aufgrund des dominanten Portalbogens, das Petit Palais stand in Gera - neben dem Rostocker Theater - wohl ebenfalls Pate. Das Theater in Gera wurde übrigens fast zeitgleich mit dem Fürther Theater eröffnet, nämlich am 18. Oktober 1902 mit „Iphigenie auf Tauris“ – hier Beethoven (Fürth: Eröffnung 17. September 1902 mit „Fidelio“, Beethovens einziger Oper) , dort Goethe, wie es sich gehört.

Das „Große Haus“ des Theaters Gera wurde nur wenige Wochen nach dem Fürther Stadttheater eröffnet.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Theaters Altenburg Gera.

Das blumengeschmückte Theatermodell der Fürther Kleingärtner zum Erntedankzug 2002. Foto: A. Mayer.

Vergleicht man die Originalfassade unseres Stadttheaters (vgl. Abb. S. 5) mit der heutigen, so fehlen vor allem die beiden Zieraufsätze auf der Dachkrempe links und rechts, die Auffahrt mit den beiden damals hübschen Straßenlaternen und bis vor kurzem das Dach vor dem Eingang. Letzteres passt nicht ganz, bot aber - gleich der von Fellner&Helmer oft verwendeten Loggia mit Vorfahrbereich - ein ideales Forum des Sehens und Gesehenwerdens. Kürzlich wurde das Dach wieder angesetzt, historisch richtig, ästhetisch sicherlich fragwürdig, ein klarer Einbruch des Funktionalismus, der zur Entstehungszeit durch die beiden schönen Lampen und das begrünte Auffahrtsrondell nicht so negativ hervorstach, wie es heute leider der Fall ist.

Demokratische Balkone

Im Vestibül wurde in Fürth wie bei anderen eher kleineren Theatern auf eine repräsentative, zentrale Haupttreppe verzichtet, Diagonaltreppen führen in die oberen Geschosse. Ähnliche Lösungen von Fellner & Helmer finden sich im Stadttheater Karlsbad und im ehemaligen Neuen Deutschen Theater Prag (heute: Staatsoper). Aus Prag stammt auch Das Keramikmodell des Stadttheaters, das wir von Jaroslav Safr herstellen ließen und beim Altstadtverein oder bei der Bürgerberatung käuflich zu erwerben ist. Im prachtvollen Zuschauerraum variierten Fellner & Helmer die seinerzeitige Auseinandersetzung zwischen Anhängern eines Logentheaters und jene eines Balkontheaters. Die Befürworter von Logen wollten wohlhabende Leute, die den Fortbestand des Theaters sicherten, nicht in eine Reihe mit den weniger Bemittelten setzen. Andere bevorzugten die eher „demokratischen“ Balkone. Die meisten Theater von Fellner & Helmer zeigen Balkone und Logen, so auch das Fürther Theater.

Europäisches Theater

Unser Stadttheater ist aufgrund seiner Bezüge ein durch und durch europäisches Theater mit einem Paten in Paris, einem Zwilling in Czernowitz und einem weiteren Geschwister in Gera sowie vielen weiteren Verwandten zwischen dem Schwarzen Meer und der Ostsee, zwischen der Donau und der Spree in Dutzenden Städten. Weiterhin ist unser Theater ein Exponent einer lange Zeit geradezu verfemten Stilrichtung: Vielfach wird der Historismus, der Fürth so durchgehend prägte, geringschätzig betrachtet, weil er kein eigener Stil sei und nur Vergangenes kopiert habe. Aber was kam danach: Anfang des 20. Jahrhundert wurde die Parole „Ornament ist vergeudete Arbeitskraft und damit vergeudetes Kapital“ ausgegeben. Dem „Stilchaos“ des Historismus folgte der Funktionalismus, die so genannte Moderne Architektur: ein Fortschritt? So gesehen, könnte man den Historismus als letztes Aufbäumen der Ästhetik gegen die Technokratie, dem Funktionalismus interpretieren, wovon unser Theater ein beredtes Zeugnis ablegt. Um den Anblickder Fassade ungestört zu genießen, empfehle ich in den  zweiten Stock des Amtsgerichts zu steigen und das Flurfenster zu öffnen: Die Muse, die „siegreiche Macht des Wahren, Guten und Schönen über alle Lüge und Heuchelei“, sie hält das Haupt aufrecht ...

Blick vom Karlsteg auf das Fürther Stadttheater, aufgenommen vielleicht in den 1950er Jahren. Foto: Stadtarchiv Fürth.

Ganz besonders möchte ich die (englischsprachige) Internetseite empfehlen.  

Internetseite: http://www.andreas-praefcke.de/carthalia/index.html

Hier werden alte Postkartenansichten einer Unzahl von Theatern geboten. Andreas Praefcke hat hier wirklich eine 1a Anlaufdresse im Internet geschaffen, wenngleich auf seinen Seiten noch nicht alle Theater der Welt online sind – angesichts des Umfangs der Aufgabe verzeihlich. Die Spezialseiten über Helmer & Fellner verstecken sich ganz unten auf der Liste „Choose a Country“. Seitdem ich im letzten Jahr Kontakt mit Andreas Praefcke aufnahm, ist auch unser Theater vertreten. 

Das Keramik-Stadttheatermodell von Jaroslav Safr, zu haben beim Altstadtverein,

beim Stadttheater, bei der Bürgerberatung und bei der Touristinfo. Foto: A. Mayer.


 

Alexander Mayer