Alexander Mayer
Fürth 2002
Das Abschiedsinterview:
Das verflixte siebte Jahr brachte die Trennung, ein Museumsleiter mit Profil und internationalem Renommee verläßt Fürth. Kürzlich sagte mir jemand in einer kleinen Landkreisgemeinde: "Das ist doch typisch und blamabel für Fürth: Ihr seid froh, wenn ihr ihn loshabt, in München wird er mit offenen Armen empfangen". Nun, "wir" sind über diesen Verlust keineswegs froh, vielleicht ist es in Fürth wieder bequemer ohne ihn, aber sicherlich nicht besser. Letztendlich war ich überrascht, wie lange Bernhard Purin bei uns ausharrte, denn Fürth ist ja ganz nett, nur manche Fürther... Alexander Mayer (AM): Sie haben gestern (13.11.02) gekündigt, am 1. März fangen Sie in München an. Wie geht es weiter mit dem Jüdischen Museum in Fürth? Purin: Die finanzielle Situation ist sehr ernst. Der Bezirk will im Gegensatz zur Stadt Fürth beim Museum 20% einsparen. Durch lineare Kürzungen werden diejenigen kulturellen Einrichtungen des Bezirks besonders getroffen, die sowieso wenig haben. Wenn diese Kürzungen durchgehen, hat dies eine Abstufung zur Folge, sprich: weniger Ausstellungen, weniger Aktivitäten, weniger Forschung, weniger Besucher. Die Geldgeber müssen sich fragen, inwieweit sie zur Einrichtung stehen. Die angekündigten Kürzungen würden dramatische Einschnitte zur Folge haben. Die Stadt Fürth steht zu ihren Verpflichtungen, kann aber nicht für die anderen einspringen. AM: Was sagen Sie zu dem Spruch "Fürth zieht nicht an, hält aber fest"? Purin: Ich gehe mit zwiespältigen Gefühlen. Einerseits habe ich in Fürth Dinge erlebt, die ich nie wieder erleben möchte und die ich anderen nicht wünsche. Andererseits haben sich sehr viele Fürther im Förderverein, aber auch weit darüber hinaus für das Museum engagiert, es hat sich ein doch erstaunlich großer Kreis von Interessenten um das Museum geschart. Das macht den Weggang schon schwer.
Bernhard Purin verläßt Ende Februar 2003 Fürth: "Ich gehe mit zwiespältigen Gefühlen..." Foto: A. Mayer. AM: Wie schätzen Sie das kulturelle Klima in Fürth ein? Purin: Ich habe ein Gefühl der Enge in vielen Bereichen, die Aufgeschlossenheit für Neues ist nicht weit verbreitet. Fürth hat für seine Größe sehr wenige kulturelle Einrichtungen. Die gemessen an der Einwohnerzahl kleineren Städte Bamberg und Bayreuth haben 14 beziehungsweise 20 Museen, Fürth nur zweieinhalb. AM: Wie sehen Sie die Verbindung von Kultur und Politik in bezug auf das Jüdische Museum? Purin: Kultur soll Fragen stellen, ein Museum sollte ein Ort der fortwährenden Auseinandersetzung sein. Die Politik sah im Museum eher ein Instrument, die jüdische Geschichte abzuhaken. In Fürth hat sich nach dem Krieg ein offizielles Geschichtsbild entwickelt, das beispielsweise eine "sprichwörtliche Toleranz" in Fürth auszumachen glaubt. Abgesehen davon, daß ich selbst bei meiner Arbeit von dieser Toleranz nicht viel spüren konnte, geht dieses Schlagwort von einem Geschichtsbild aus, das nicht zu halten ist. Wenn es so wäre, warum hatte der Holocaust im toleranten Fürth den gleichen Ausmaß wie in anderen Orten. AM: Hat das Museum bewußt Tabus gebrochen? Purin: Wir sind im Museum im Rahmen dessen geblieben, was für Jüdische Museen in Europa mögliche Formen sind. Es gibt eine kleine Gruppe von Menschen, die nicht tolerieren können, daß man sich mit jüdischer Geschichte in einer anderen Weise auseinandersetzen kann, wie sie sich das vorstellen. Wir haben nichts gemacht, was Grenzen überschreiten würde. Der Film "Jud Süß" wurde beispielsweise im Haus der Jüdischen Gemeinde in München und im Jüdischen Museum in Frankfurt gezeigt. Niemand hat Anstoß genommen. Hier in Fürth wird das zu einem Skandal hochstilisiert, hier finden solche Kampagnen einen fruchtbaren Boden. Oder nehmen wir Anna Adam. Die jüdische Gemeinde Berlin hat jüngst bei den jüdischen Kulturwochen in der Hauptstadt eine Ausstellung von Anna Adam gezeigt, die deutlich mehr zugespitzt ist als das, was in Fürth gezeigt wurde. Die Anna Adam Ausstellung in Berlin wurde von Andreas Nachama eröffnet, der früher Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde war und in Berlin als Rabbiner tätig ist. AM: Sind die Streitigkeiten um Ausstellungen wie Anna Adam nicht ein Reflex der Probleme für Juden, in Deutschland eine klare Identität auszubilden, spielen hier Generationskonflikte eine Rolle? Purin: Die Ausstellung "Feinkost Adam" war Teamwork zwischen Anna Adam und mir. Wir hatten die gleiche Grundidee: In wenigen Jahren leben die letzten Augenzeugen der Shoa nicht mehr. Wie wird dann die Erinnerung an das Geschehene weitergetragen werden? Die bisher üblichen Formen der Gedenkkultur waren für ihre Zeit richtig. Aber auch jüngere Juden und Nichtjuden müssen die Möglichkeit und das Recht haben, selbst zu entscheiden, wie sie die Erinnerung bearbeiten. Eine Entkrampfung tut not, Gedenkrituale bergen in sich die Gefahr, in Schablonen zu erstarren. AM: Diese Thematik erinnerte etwas an Rafael Seligmann, der ja auch das Gedenken in gewisser Weise relativiert, beispielsweise in seinem Roman "Der Milchmann". Gibt es da Parallelen? Purin: Die Frage nach einer anderen Form des Gedenkens wird in der Literatur thematisiert. Ein Museum hat ähnliche Aufgaben wie Literatur und Theater, alle sollen nicht an etwas festhalten, sondern neue Fragen aufwerfen. Norman Kleeblatt, der eine umstrittene Holocaust-Ausstellung in New York durchgeführt hat, sagte hierzu: "Ein jüdisches Museum hat die Aufgabe, Fragen zu thematisieren, die sich demnächst stellen werden" Dies hat in Fürth funktioniert. Es war sehr spannend zu sehen, daß Besucher die Ausstellungen völlig anders wahrnahmen, als wie sie öffentlich in den Medien diskutiert wurden. Mehr als der Ausstellung kommt der Diskussion Bedeutung zu. Dies läuft auf einer ganz anderen Ebene als in den Medien, es kommt zu einem Nachdenken der Besucher über ihr Verhältnis zum Judentum.
Kulturelles Klima in Fürth: "Gefühl der Enge ..." Foto (Rathaus vom Museumscafé aus gesehen): A. Mayer AM: Wie steht es mit dem Verhältnis von Event zu Public Relation. War der Eklat ein Mittel zum Zweck? Purin: Nein, aber die Kritik hat das Museum unbestreitbar erst richtig bekannt gemacht. AM: Das Jüdische Museum war für den Europäischen Museumspreis nominiert, was an sich schon ein Erfolg war. Später hat das Levi-Strauß-Museum in Buttenheim diesen Preis erhalten. Als ich in Buttenheim war, fragte ich mich: Ist das eigentlich noch ein Museum? Wie sehen Sie dies? Purin: Der Jury hat die Verbindung von Kommerz und Museum in Buttenheim gut gefallen. Eigentlich sind Orginalobjekte ein wesentlicher Grund, um in ein Museum zu gehen, ein Museum sollte nicht lediglich Geschichte illustrieren. Alles was man nicht durch Dinge zeigen kann, sollte auch nicht in ein Museum sondern in ein Buch. Die Grunddefinition eines Museums beinhaltet Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln. Ich kenne das Museum in Buttenheim nicht gut genug, um sagen zu können, ob und inwieweit dies dort geleistet wird. AM: Das Jüdische Museum in Berlin wurde offiziell hoch gelobt, in Fachkreisen ist das Urteil weniger positiv. Was sagen Sie zu dem Museum in der Hauptstadt? Purin: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung nannte das Museum in Berlin eine "grandios vertane Chance". Das Grundkonzept, anhand einer Storyline die jüdische Geschichte von Anfang bis Ende darzustellen, war anhand der Objektlage kaum zu erfüllen. Die Ausstellung kippt ziemlich häufig weg, weil die Objekte fehlten und viele Repliken eingesetzt werden. Geschichte ist immer fragmentarisch und läßt sich nicht komplett rekonstruieren, dies ist ja letztendlich auch tröstlich. Anspruch und das, was ein Museum leisten kann, müssen übereinstimmen. Mit Fragmenten sind Eindrücke und Anstöße zu liefern. Wenn der Besucher mehr wissen will, dann ist dieser Anspruch erfüllt. Für mich war die dem Jüdischen Museum in Fürth angeschlossene Literaturhandlung immer ein Gradmesser für den Erfolg. Die Vermittlungsmöglichkeiten durch eine Stunde Museumsbesuch sind relativ gering. Aber wenn dann jemand ein Buch oder gar mehrere Bücher zum Thema kauft, dann war das Museum ein Erfolg. Seit drei Jahren haben wir relativ konstante Besucherzahlen im Museum, aber die Buchhandlung hat ihren Umsatz verdoppelt, der Erfolg ist da. Aus dieser Anschauung resultiert auch der Wunsch nach einem Infozentrum mit Bibliothek, die direkt dem Museum angeschlossen sind. Sie würden Besucher auffangen, die mehr wissen wollen. AM: In Fürth gibt es wie auch andernorts Versuche, Lokalgeschichte zu monopolisieren. Was sind die Auswirkungen? Purin: Es ist bedauerlich, wenn Schlagworte wie "Toleranz" und andere unreflektierte Einschätzungen vorherrschen. Solch ein Beharren verhindert, daß der Historiker neue Erkenntnisse erlangt. Ich will als Beispiel die Bedeutung Fürths für den hebräischen Buchdruck anführen. Im Vergleich mit Wilhermsdorf oder Sulzbach erlangte dieses Gewerbe in Fürth relativ spät an Bedeutung, die Qualität war dann nicht die beste. Im 18. Jahrhundert war es oft Praxis, zur Aufwertung falsche Druckorte in Büchern anzugeben, so gaben Fürther Druckereien Sulzbach oder Amsterdam an. Der umgekehrte Fall ist nicht ein einziges Mal belegt, nie haben andere Druckorte Fürth zur Aufwertung angegeben. Das ist ein schöner Beleg für die relativ geringe Qualität der Fürther Produkte. Das Beharren auf die Behauptung, die Qualität des Fürther Buchdrucks sei eine herausragende, verstellt den Blick auf andere Fragestellungen. Zum Beispiel war es eine große Leistung der Druckereien in Fürth, für die breite Masse günstige Gebetbücher herzustellen. Das Beharren auf Legenden fördert nicht den Erkenntnisgewinn. AM: Welche Bedeutung hatte Franken für die Jüdische Geschichte im Vergleich mit anderen deutschen oder mitteleuropäischen Regionen? Purin: Neben Rheinland-Pfalz und bayerisch Schwaben ist Franken eine der Landschaften mit der größten Dichte an jüdischen Gemeinden. Fürth hatte dabei seit dem 17. Jahrhundert eine herausragende Bedeutung, weil die Gemeinde zahlenmäßig sehr groß war. Hier in Fürth wird aber manches wegen des fehlenden Blickes über den Tellerrand überschätzt. Fürth ist keinesfalls mit Prag, Frankfurt oder Altona vergleichbar. Im bayerischen Maßstab und in Süddeutschland hatte Fürth jedoch sehr wohl große Bedeutung.
"In wenigen Jahren leben die letzten Augenzeugen der Shoa nicht mehr..."Foto (alter Jüdischer Friedhof): A. Mayer AM: Die NSDAP hatte in Franken weit überdurchschnittliche Wahlergebnisse. In der Juliwahl 1932 lagen im Deutschen Reich von den zehn Wahlkreisen mit dem höchsten NSDAP-Stimmenanteil nicht weniger als sechs in Franken: Rothenburg mit 76%, Uffenheim 73%, Neustadt/Aisch 68%, Ansbach Land 66%, Gunzenhausen 65% und Dinkelsbühl 63%. Hatte das etwas mit spezifischen Ausprägungen des Judentums in Franken zu tun? Purin: Nein, Antisemitismus braucht keine Juden. In Uffenheim beispielsweise gab es 1933 ganze 50 Juden, das waren 1,9% der Bevölkerung. AM: Was für Wünsche hegen Sie für Fürth? Purin: Ich hoffe auf eine kluge Personalentscheidung in bezug auf die Leitung, und daß mein Nachfolger die Möglichkeit hat, eine gute Museumsarbeit zu leisten, möglichst frei von Einflußnahmen und Interventionen. Ich hoffe, daß sich die Menschen, die sich für das Museum engagiert haben, dies weiterhin machen, und daß diejenigen, die anderer Meinung zur Konzeption des Museums sind, die Autonomie einer solchen Einrichtung tolerieren. AM: Hoffentlich berichten Sie in München und in der Welt nur von den positiven Seiten unserer Stadt. Purin: Das wird nicht ganz einfach sein, da - zumindest in der Fachwelt - die Auseinandersetzungen um das Jüdische Museum sowie Inhalt und Form der vorgebrachten Kritik eigentlich nur Kopfschütteln ausgelöst haben. Aber es ist natürlich schon auch so, daß ich neben den Erinnerungen an diese Absurditäten auch das eine oder andere Positive von Fürth nach München mitnehmen werde. AM: Besten Dank für das milde Urteil! Wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen viel Glück für die Zukunft. Das Interview führte Alexander Mayer (am 14. November 2002). |