Alexander Mayer

Fürth 1995

 

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DIE KNEIPE ALS KULTURGUT

Alexander Mayer (1995)

 

 

 

 

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Alte Inschrift am Prinzregent, Jakobinenstraße. Foto: A. Mayer

Nicht selten hört man die abschätzige Bewertung, St. Michael sei das "Kneipenviertel". Wer jedoch der Kneipe abwertend gegenübersteht, der hat keine Ahnung von Kulturgeschichte. Die Kneipe war von jeher ein Ort, an dem sich gesellschaftliche Neuerungen entwickelten. Auch wenn sich der Altstadtverein im Einzelfall gegen das Überhandnehmen von Kneipen im Viertel St. Michael aussprach ("Kneipenstoppbebauungsplan"), ändert das nichts an der generellen Wertschätzung dieser aus vielen kleinen Segmenten aufgebauten Institution menschlichen Zusammenlebens. In ihrer Gesamtheit ist sie für die Bürger sicherlich wichtiger als so manch andere kulturelle und kommunalpolitische Einrichtung dieser Stadt. Der Altstadtverein plant deswegen über kurz oder lang, in Fürth ein Kneipenmuseum zu eröffnen.

 

Die Anfänge

Die erste schriftlich erwähnte Gastwirtschaft stand vor 5.500 Jahren in Babylon, sogar der Name der ersten Wirtin ist überliefert, sie hieß Kubaha. 3.000 Jahre später, erst in Athen und dann im alten Rom, gab es schon ein differenziertes Gaststättenwesen von der einfachen Schankwirtschaft über das Eßlokal bis zum Hotel mit Pferdestall, und schon damals waren die Kneipen den Herrschenden unbequem. Die römischen Kaiser belegten die Trattorien und Tavernen mit einem Verköstigungsverbot, sie sahen, dem Geschichtsschreiber Dio Cassius zufolge, in ihnen unerwünschte Unruheherde.

Auch in Deutschland muß es schon im fränkischen Reich ein ausgeprägtes Kneipenwesen gegeben haben, erstmalig indirekt erwähnt im Jahre 794, als anläßlich eines geistlichen Konzils in Frankfurt den Teilnehmern ausdrücklich verboten wurde, in eine "taberna" einzukehren. Das Wort Kneipe kommt nach einer Deutung aus dem Rotwelschen, und ihm haftete früher tatsächlich etwas anrüchiges an: einer einschlägigen Diplomarbeit zufolge sei unter einer Kneipe im ursprünglichen Verständnis ein Lokal zu verstehen, "in welchem dem Wirt nicht zu trauen ist". Als berühmtes Beispiel hierfür läßt sich "Llandoger Trow" in Bristol (King Street) nennen, wo einst der einbeinige Wirt und Bandit Long John Silver seine Seeräuber zum Entern der "Hispania" sammelte ("Die Schatzinsel") und wo Daniel Defoe vom Seefahrer Selkirk die Geschichte von Robinson Crusoe erfuhr. Ein weiteres Beispiel ist das "Wirtshaus im Spessart", dessen Wirt die Gäste an Räuberbanden verkaufte, wie uns der deutsche "Romantikerjüngling" Wilhelm Hauff berichtet.

Aber schon früh entwickelte sich die Kneipe als Gesellungsform, als ein Ort, an dem man aus der Sphäre des Privaten heraustrat und ein gesellschaftliches Bewußtsein entwickelte (so würde es ein Soziologe formulieren). Einfacher ausgedrückt: In den Schenken wurde politisch diskutiert. So ging von den Geschlechter- und Zunftstuben des Mittelalters mehr als einmal eine Revolte aus.

Kneipen wurden daher zum Objekt obrigkeitlicher Beobachtung, Eingriffe und Regelungen. Für München ist die erste Polizeistunde im Jahr 1310 verbürgt, sie war auf etwa 21 Uhr angesetzt, als Begründung wurde unter anderem "Ansammlung von Gesindel" und "Störung der öffentlichen Ordnung" genannt. Auch Nürnberg erließ 1340 eine Verordnung "gegen das Übermaß an Wirtshausfeiern". Im Bauernkrieg spielten Gasthöfe und Dorfschenken als Versammlungsort eine wichtige Rolle, und so wurde den Bauern nach der Niederschlagung der Revolte mancherorts der Besuch von Wirtshäusern verboten.

Das Café

Mit dem Übergang vom Feudalismus (Agrarland und Adelsherrschaft) zum Kapitalismus (Handel, Geldwirtschaft und Industrialisierung bestimmen die Gesellschaft) erstarkte zunehmend das Bürgertum. Es bediente sich zur Entfaltung einer kritischen Öffentlichkeit einer neuen Form der Kneipe: des Cafés. Es entstand in den großen Handels- und Hafenstädten, wo die neuen Genußmittel Kaffee, Schokolade und Tabak an Land kamen: Venedig 1645, London 1652, Marseille 1654, Hamburg 1671. In einer Zeit, die noch keine Tagespresse im modernen Sinne kannte, wirkten die Cafés als Nachrichtenbörse und Kommunikationszentrum, sowohl für das Geschäftswesen wie auch für Journalismus und Literatur. Berühmtestes Beispiel des Geschäfts-Cafés war jenes von George Lloyd 1687 in London eröffnete "Lloyd's Coffeehouse", aus dem sich das größte Versicherungsunternehmen der Welt entwickelte.

Geradezu zwangsläufig kam es bei den Diskussionen um die Geschäfte auch zu politischen Diskussion und zu Stimmungsmache gegen den Adel, was natürlich zu gelegentlichen Verboten führte. Eine englische Regierungsproklamation aus jener Zeit verdeutlicht ein Denken der Obrigkeit, das auch heute noch zu finden ist: "Die Leute haben sich selbst Freiheiten genommen ... in Caféhäusern ... die Handlungen des Staates zu beurteilen und zu diffamieren, indem sie Schlechtes über Dinge sprechen, die sie nicht verstehen, und es wagen, bei allen gutwilligen Untertanen seiner Majestät allgemein Neid und Unzufriedenheit zu erzeugen und zu nähren."

So ganz unrecht hatte die Obrigkeit nicht: Im Café Procope in Paris wurde 1788 die französische Revolution vorbereitet, hier war 1789 das Hauptquartier der Revolutionsleute Dantons.

 

Kneipe, Café und Bürgertum

In beinahe jeder deutschen Stadt hatte die gescheiterte bürgerliche Revolution von 1848 ihren "Stammtisch". Die Revolutionäre trugen auch den Spitznamen "Wirtshausrepublikaner". Die Parteien und Fraktionen des ersten deutschen Parlaments in der Frankfurter Paulskirche nannten sich nach ihren Treffpunktlokalen. So gab es in der Nationalversammlung u.a. den Deutschen Hof (demokratische Linke), den Württemberger und den Augsburger Hof (linksliberale Mitte), das Casino (rechtsliberale Mitte), das Steinerne Haus, das Café Milano und den Pariser Hof (gemäßigt-konservative Rechte).

Zu dieser Zeit war aber die Hochzeit der Cafébewegung überschritten. Aus einem Forum der Diskussion wurden mehr und mehr sogenannte "Prachtcafés" zur Repräsentation von Macht und Reichtum des Bürgertums, nun nicht mehr gegen den Adel, sondern mit ihm zusammen. Die Entwicklung der Cafés war damit ein Spiegelbild der deutschen Geschichte: Das kommerziell erfolgreiche Bürgertum führte spätestens nach der versuchten bürgerlichen Revolution 1848 den Kampf um mehr politische Rechte nicht weiter, sondern näherte sich politisch dem Adel und damit der Monarchie an. Diese Anpassung ist eine der vielen unseligen Wegstellungen, die zum Ersten Weltkrieg und zum Nationalsozialismus führten.

Die Funktion des Cafés als politisches und gesellschaftliches Diskussionsforum ging wieder mehr auf den Stammtisch in der Kneipe über. Vom Kleinbürgerstammtisch über den Honoratiorentreff im Ratskeller bis zu literarisch-revolutionären Runden reichte im vergangenen Jahrhundert die Palette.

Kneipe und Nationaldichter

Goethe war ein begnadeter Kneipier. Nicht nur in Weimar findet man auch heute noch seine Stammlokale, sondern beispielsweise auch in Leipzig, wo er Auerbachs Keller zur berühmtesten deutschen Kneipe machte (eine der wenigen wirklichen Sehenwürdigkeiten Leipzigs, Grimmaische Str. 2-4): Faust, von der Wissenschaft enttäuscht ("Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor..."), wandte sich bekanntlich den schwarzen Künsten zu ("Es möchte kein Hund so länger leben! Drum hab ich mich der Magie ergeben...") und ging einen Pakt mit dem Teufel ein ("Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehn!"). Ganz klar, wie dann der erste Versuch Mephistos aussah, Faust einen solchen Augenblick zu verschaffen: er ging mit ihm in die Kneipe, in Auerbachs Keller. Als nächste Station kam die Hexenküche, dort verabreichte er Faust ein Aphrodisiakum ("Du siehst, mit diesem Trank im Leibe, bald Helenen in jedem Weibe."), worauf Faust seiner Margarete begegnete (zu Mephistos Entsetzen: "Ich sag Euch, mit dem schönen Kind, geht's ein für allemal nicht geschwind. Mit Sturm ist da nichts einzunehmen; wir müssen uns zur List bequemen") und sich der Tragödie erster Teil entwickelte, die wiederum an eine Kneipentragödie jüngerer Tage erinnert: Die letzte Frau, die man in Großbritannien hängte, war die Wirtin Ruth Ellis. Sie erschoß am Ostersonntag 1955 in ihrem Pub einen Stammgast (Stichwort: unglückliche Liebe). Also von wegen: "Wer die Wirtin kränkt, wird aufgehängt".

Zurück zu Goethe: In seinem realen Leben vergnügte er sich unter anderem im Artico Cafè Greco in Rom (sehr sehenswert, aber Tummelplatz für Touristen; in der Via Condotti 86 nahe Piazza di Spagna, Capuccino à sieben Mark); daselbst verkehrten nebenbei auch Casanova, Baudelaire, Schopenhauer, Franz Liszt, Mendelssohn, Wagner und Nietzsche. Selbst in Schwabach hielt Goethe nicht im Rathaus, sondern in der Gaststätte Zum Weißen Lamm inne. Auch in anderen Ländern waren die Nationaldichter nicht selten Stammgäste in Kneipen, so zum Beispiel der Portugiese Fernando Pessoa im Café A Brasileira (für Lissabon-Besucher ein Muß und noch kein Tummelplatz für Touristen, am Largo do Chiado). Der ägyptische Schriftsteller und Nobelpreisträger Nagib Machfus (Erzählungen, u.a.: "Die Kneipe Zur schwarzen Katze") wurde 1994 in seinem Stammlokal von islamischen Fundamentalisten schwer verletzt.

 

Kneipe und Arbeiterbewegung

Mit Beginn der Industrialisierung und der explosionsartigen Vergrößerung der Städte im 19. Jahrhundert wuchs auch die Zahl der Gaststätten. Gründe waren die ländliche Herkunft der Arbeiter - dort hatte das Gasthaus neben der Kirche schon immer eine zentrale Stellung -, der Wunsch nach Geselligkeit und vor allem aber die katastrophalen Wohnverhältnisse der Arbeiterschaft. Die Kneipe mußte das Wohnzimmer ersetzen.

Das Wirtshaus nahm deswegen auch eine zentrale Stellung in der Arbeiterbewegung ein, so schrieb der Arbeiterführer Karl Kautsky 1891 in der Zeitschrift "Die neue Zeit": "Das einzige Bollwerk der politischen Freiheit des Proletariats, das ihm so leicht nicht konfisziert werden kann, ist das Wirtshaus. Der Temperenzler mag darüber die Nase rümpfen, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß unter den heutigen Verhältnissen Deutschlands das Wirtshaus das einzige Lokal ist, in dem die niederen Volksklassen zusammenkommen und ihre gemeinsame Angelegenheiten besprechen können. Ohne Wirtshaus gibt es für den deutschen Proletarier nicht bloß kein geselliges, sondern auch kein politisches Leben".

Kein Wunder, daß die SPD in einer Kneipe gegründet wurde: am 9. August 1869 unter der Wartburg im Eisenacher Wirtshaus "Zum goldenen Löwen". In der Ex-DDR war diese Kneipe "Nationale Gedenkstätte", dies ist im vergoldeten Schriftzug über dem Eingang nach wie vor zu lesen. Im Gartenlokal "Tivoli" des nahen Gotha vereinigten sich dann 1875 diese "Eisenacher" mit dem bis dahin konkurrierenden Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein von Ferdinand Lassalle. Der Saal ist heute noch zu besichtigen.

Nationalliberale und Konservative im Reichstag beschlossen daraufhin im Herbst 1878 das "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie", das sog. Sozialistengesetz. Von 1878 bis 1890 war der SPD damit jede außerparlamentarische Agitation und Versammlung verboten, in dieser Zeit wurden Wirtshäuser zu zentralen Organisations- und Diskussionsorten. Die Obrigkeit versuchte dem durch Einschränkungen der Schankkonzessionen entgegenzutreten. Kaiser Wilhelm II lehnte 1890 eine Arbeitszeitverkürzung ab, weil dann "die Arbeiter mehr Zeit in den Kneipen zubringen und damit um so sicherer in den Sumpf des politischen Radikalismus abgleiten" würden.

Bürgerlich-konservative Kreise führten die Attraktivität der Kneipe nicht auf das Bedürfnis nach Kommunikation, politischer Betätigung und Geselligkeit oder auf die beengten Wohnverhältnisse zurück: Der (konservativ-bürgerliche) "Deutsche Verein für Armenpflege und Wohlfahrt" beklagte beispielsweise 1889 die "Unfähigkeit der Frauen zur Haushaltsführung" als Wurzel allen Übels: "Auf diesen Mangel ist es zurückzuführen, wenn ... der Mann aus dem unbehaglichen Heim ins Wirtshaus ... getrieben wird. So vermehrt sich die Schar jener Unglücklichen, welche unzufrieden mit Gott und der Welt, von Haß und Neid erfüllt ... zu willigen Werkzeugen in der Hand revolutionärer Agitatoren werden".

Bei der damals zentralen Stellung der Institution Kneipe für die Arbeiterbewegung verwundert es nicht, daß von 35 Reichtagsabgeordneten der SPD immerhin vier Gastwirte waren. Der spätere SPD-Reichskanzler Friedrich Ebert - eigentlich Sattlermeister - verdingte sich 1894 bis 1900 als Kneipier in Bremen. Wer wissen möchte, wie in dieser Zeit eine Arbeiterkneipe in etwa aussah, der sollte im Museum Industriekultur (Äußere Sulzbacher Str. 62 in Nürnberg) die Tafelhauskneipe besuchen.

 

Kneipe und Nationalsozialismus

Die Kneipe als Kulturform kann wohl nicht dafür verantwortlich gemacht werden, daß auch die Karriere und der Aufstieg Hitlers in einer Kneipe begann: Hitler stieß im September 1919 im Münchener "Sterneckerbräu" (am Isartor) zur damals völlig unbekannten Hinterzimmerpartei DAP. Mit seiner rhetorischen Begabung brachte es Hitler in den Bierkellern Nähe Rosenheimer- und Wienerplatz soweit, daß er schon 1920 den Münchener Kindl-Keller mit seinen 5.000 Plätzen füllen konnte, damals eine der bekanntesten Münchener Polit-Hochburgen. Vom benachbarten Bürgerbräukeller (Rosenheimer Straße) ging am 8. November 1923 der Marsch auf die Feldherrnhalle aus. Ab 1933 hielt Hitler an jedem 8. November im Bürgerbäukeller eine Versammlung ab, was den Schreiner Georg Elser 1939 dazu veranlaßte, eine Säule mit Sprengstoff und Zeitzünder zu präparieren. Elsers Motiv lag in dem von ihm vorausgesehenen Krieg, zudem war sein Bruder im KZ umgekommen. Hitler verließ mit seiner Führungsclique den Bürgerbräukeller 12 Minuten vor der Detonation. Typisch für den Umgang mit der NS-Zeit nach dem Krieg war es im übrigen, daß zwar der Attentäter General Claus Graf von Stauffenberg immer wieder als Beispiel hochgelobt wurde und wird, nicht jedoch Elser. Die Gründe: Elser war Schreiner und ein Einzeltäter, Stauffenberg dagegen konservativer Graf und hoher Offizier. - Der Bürgerbräukeller steht nicht mehr, an seiner Stelle findet sich heute - nahe dem Gasteig - das Hilton-City.

Die Braunhemden hielten sich im wesentlichen an Orten auf, die eher Kleinbürgertreffs waren. In Arbeiterkneipen konnten sie sich nicht verankern, vielleicht war der von ihnen gepflogene Stil der autoritären, theatralischen und angeberischen Repräsentation zu wenig alltagstauglich. Ab 1933 führte jedoch die Verseuchung mit Spitzeln dazu, daß der aktive Widerstand die Kneipen als ständigen Treffpunkt aufgab. In Fürth stürmte die SA am 3. Februar 1933 das als Kommunistenkneipe verschrieene Wirtshaus "Zum goldenen Rößla" in der Bergstraße 3, besser bekannt unter dem Namen des Wirtes Blaufelder, wobei es mehrere Schwerverletzte gab.

Kneipen in Fürth

Das Gaststätten- und Brauwesen war in Fürth seit dem Mittelalter eines der wichtigsten Gewerbe. "In Fürth, da gibt's viel Juden und viel Wirt", hieß es früher, allerdings auch: "Wer nichts wärd, wärd Wärt, und wer überhaupt nichts wärd, wärd Wärt in Färdd". Auch Wein wurde früher in Fürth und Umgebung angebaut, so auf dem Gänsberg. Er war aber nichts besonderes, man vermischte ihn mit Gewürzen wie Muskat, um ihn genießen zu können. Im Landkreis nahe Ammerndorf, wo im übrigen heute das beste Bier in der näheren Umgebung gebraut wird (Ausnahme vielleicht noch Unternbibert, das aber schon im Landkreis Ansbach liegt), gibt es inzwischen wieder einen kleinen Rebhang.

1604 gab es 35 Bier- und Weinwirte sowie 9 Bierbrauer in Fürth; 1731 24 Braustätten, aber meist keine größeren. 1814 standen nur noch sechs Brauereien, 1873 noch fünf Großbetriebe (Geismann, Grüner, Humbser, Mailaender, Evora & Meyer). Übriggeblieben war zunächst nur Partrizier-Bräu, das kürzlich von Tucher aufgekauft und als Markenname eliminiert wurde. Hinzu kam dagegen Dorn-Bräu im 1972 nach Fürth eingemeindeten Ortsteil Vach, das seine Eigenständigkeit aber auch schon aufgegeben hat.

 

Das Rote Roß

Die älteste bekannte Kneipe in Fürth ist das Rote Roß am Waagplatz, erstmals erwähnt 1476, das heutige Gebäude stammt aus dem Jahre 1664. Damit ist nicht nur Fürth insgesamt älter als Nürnberg, sondern auch die Fürther Kneipen: Das älteste Nürnberger Wirtshaus (Bratwurstküche in der Zirkelschmiedsgasse) datiert aus dem Jahre 1520). Es wurde sogar schon vermutet, daß das Rote Roß die Keimzelle von ganz Fürth sein könnte: der Fürther Häuserchronist Gottlieb Wunschel glaubt die vielfach umstrittene Lage des alten karolingischen Königshofes am "locus furthi" auf dem Waagplatz ausmachen zu können. Das Wirtshaus war nämlich Stammhaus von mindestens 15 Anwesen um den Platz herum und damit ein Hof von außergewöhnlicher Größe. Mit dem gesamten Areal war zudem das uralte und bedeutende Geschlecht derer von Eyb belehnt, und diese Belehnung muß zeitlich sehr weit zurückliegen. Dem Altstadtverein schmeckt diese Theorie natürlich gar wohl, da man somit seinen Stammsitz am Ursprungspunkt Fürths hätte.

Aber auch ansonsten hat das Rote Roß eine bewegte Geschichte zu verzeichnen: im 30jährigen Krieg wurden in dem Gebäude im Jahr 1622 nicht weniger als 300 Kosaken einquartiert, 1632 beklagte der damalige Rößleinswirt, daß seine Wirtschaft nach jahrelangen Einquartierungen ruiniert sei. Als 1634 Fürth von Kroaten in Schutt und Asche gelegt wurde, mußte auch das Rote Roß daran glauben. 1664 wieder aufgebaut, war die Gaststätte mehrfach Schauplatz dramatischer Kriminalfälle. 1832 kaufte die Stadt das Gebäude und setzte 1862 etwas unpassend ein Uhrentürmchen darauf. Als das Haus 1979 zu verfallen drohte, wurde der Altstadtverein aktiv. Das bürgerliche Gasthaus war in der jüngsten Vergangenheit zunächst Altstadtbordell und dann Wohnasyl mit Billigstwohnungen im entsprechenden Zustand geworden. Nachdem die Hausherrin die Stromrechnung nicht zahlte, wurde seinerzeit den Bewohnern - durchgehend türkische Familien - von den Stadtwerken der Strom gesperrt. Der Altstadtverein bot den Stadtwerken damals sogar an, die Rechnung zu bezahlen. Nach längerem hin und her wurde das Haus an einen finanzkräftigen Besitzer veräußert und mit Hilfe des Altstadtvereins restauriert.

 

Der Gaulstall

Viele Geschichten und Mythen ranken sich um Fürths Kneipen, aber nur eine hat sich bisher einen Platz in der Weltliteratur erobern können: Der Gaulstall in der Blumenstraße. Über ihm wohnte nämlich Jakob Wassermann, in den zwanziger Jahren ein vielgelesener Autor, er stand in der Publikumsgunst etwa auf einer Stufe mit Thomas Mann (Thomas Mann äußerte damals, daß Wassermann mehr echtes Erzählerblut besitze als er selbst). Jakob Wassermann schrieb im posthum erschienen autobiographischen Roman "Engelhard Ratgeber" über den Gaulstall: "Im ersten Stock eines Hauses, in dessen Erdgeschoß sich eine Wirtschaft befand. Jede Nacht drang großer Lärm herauf, in jeder Sonntagnacht kam es zu einer Schlägerei, und ein Gestochener brüllte alle schlafenden Bewohner wach. Schlimmer aber war für Engelhard das allwöchentliche Schweineschlachten. Das Todesgeschrei schnitt ihm gar furchtbar durch die Brust." Jakob Wassermann empfand die Atmosphäre in Fürth als beengend: "Erstickend in ihrer Engigkeit und Öde, die gartenlose Stadt, Stadt des Rußes und der tausend Schlöte, des Maschinen- und Hammergestampfes, der Bierwirtschaften, der verbissenen Erwerbsgier, des Dichtbeieinanders kleiner und kleinlicher Leute, der Luft der Armut ..."

 

 

 

 

 

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Die älteste Gaststätte Fürths um 1900.

 

 

 

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Café Fürst im Januar 1950.

 

 

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Rückseite des Café Fürst im August 1995 von der Oberbürgermeister-Etage im Rathaus aus gesehen. Zehn Minuten später stürzte das Baugerüst an der Ludwig-Erhard-Straße ein. Foto: A. Mayer

 

 

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Innenraum des Café Fürst im August 1995. Foto: A. Mayer

Die Gustavstraße

Durch die Gustavstraße ging die alte Fernhandelsstraße von Frankfurt nach Nürnberg und weiter nach Böhmen. Fürth ist ja bekanntlich aus einem Schnittpunkt zweier wichtiger Fernhandelsstraßen entstanden. Bis 1827 hieß sie Bauerngasse, weil in alten Zeiten die Bauern aus dem Umland nach dem Marktgeschäft dort ihre Wagen abstellten, um einen mehr oder weniger großen Teil des erworbenen Geldes in den schon damals zahlreichen Kneipen anzulegen. 1827 waren dann die Stadtväter der Meinung, eine Bauerngasse passe nicht in die aufstrebende Industriestadt, und so wurde aus der Bauerngasse die Gustavstraße. Die Kneipen blieben.

Der Ruf der Gustavstraße als Vergnügungsviertel hat Tradition und hatte früher einen teilweise zweifelhaften Anstrich: So wurden nach der Errichtung der Garnisonen in der Südstadt Ende des letzten Jahrhunderts zwei Bordelle eröffnet (Gustavstraße 20 u. 22), die nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg mit der nachfolgenden Demilitarisierung Deutschlands mangels ausreichender Nachfrage und aufgrund vehementer Beschwerden der Nachbarn wieder geschlossen wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg sorgten die amerikanischen Besatzungstruppen für so viel "Leben" in der Gustavstraße, daß sie am 6.11.1954 vom Standortkommandeur für alle amerikanischen Armeeangehörigen gesperrt wurde. Heute ist es dagegen in der Gustavstraße vergleichsweise harmlos geworden, und die letzten Nachtschwärmer kehren friedlich zwischen 1 und 3 Uhr im Gelben Löwen ein. Es gibt sogar wieder viel mehr Kneipen als früher. "Schuld" daran ist auch der Fürther Altstadtverein.

Der Verein versuchte das Viertel vom Durchgangsverkehr zu befreien und wieder mehr Leben auf die Straßen und Plätze zu bringen. Das Image des Viertels polierte man mit Aktionen wie den Grafflmargd und später den Weihnachtsmarkt auf. Damit setzte aber auch der Run der Gastronomie ein. Die Stadt erließ deswegen später einen "Kneipenstoppbebauungsplan". Die heutige "Zentrumsfunktion" im Freizeitbereich mit "Exportwert" (d.h. Bedeutung über Fürth hinaus) der Gustavstraße beruht neben der historischen Bausubstanz auf der Massierung von Betrieben aus der Gastronomie, die natürlich mit der Wohnfunktion in Konflikt gerät. Hauptsächlich ist für diesen Konflikt aber der Autoverkehr verantwortlich, weniger der Kneipenbetrieb an sich. Hier muß über eine weitere Beruhigung nachgedacht werden.

 

Am Kohlenmarkt

Besonders von Kneipen geprägt war früher auch der Kohlenmarkt. Der Grund war ähnlich wie in der Gustavstraße: Am Kohlenmarkt verkauften die Bauern bis um 1870 Holzkohle (dann wurde Stein- und Braunkohle rentabler) und verzechten Teile ihres Erlöses an Ort und Stelle. Beispielsweise gab es in der heutigen Apotheke ein Lokal Zum braunen Hirschen, nach dem die Hirschenstraße benannt ist. Der Hirschkopf - zumeist übersehen - prunkt noch heute oberhalb der Apotheke. Anstelle des früheren Warenhauses Tietz stand einmal ein Gasthaus Zum Walfisch. Das heutige "Bodrum" gegenüber war früher - allerdings auf ganzer Länge der Fassade - das Gasthaus Zum Kronprinzen von Preußen (später: Zum König von Preußen); dorthin - damals das beste Haus im Ort - lud 1835 Bürgermeister Bäumen die Ehrengäste nach der Jungfernfahrt der ersten deutschen Eisenbahn zum Brunch ein.

 

Das Café Fürst

Das Café Fürst, Ludwig-Erhard-Straße (ehemals Sternstraße) 2, wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erbaut und war damit älter als das direkt anschließende Rathaus. Das Café Fürst selbst wurde am 24. Februar 1869 eröffnet, bestand also über 125 Jahre.

Im Keller des Nachbarhauses Ludwig-Erhard-Straße 4, einem Sandsteinbau aus dem Jahre 1887 im Stil der Neu-Renaissance, findet man einen alten Gang in den anstehenden Sandsteinuntergrund. Der wohl etwas überspannten (Familien-) Sage nach soll das ein Schacht sein, der zur Zeit des 30jährigen Krieges bis zur Alten Veste führte. Aber es könnte vielleicht der Eingang zu einer jüdischen Mikwe (rituelles Tauchbad) sein.

Das Café Fürst entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Kristallisationspunkt für Kultur und Politik. In den meisten Großstädten waren die Theater und Schauspielhäuser zerstört, nicht so in Fürth. Viele Schauspieler fanden sich deswegen zwecks Broterwerbs in Fürth ein, weil dort außer dem Stadttheater viele kleine Bühnen - wie zum Beispiel der Kristallpalast in der Pfisterstraße - unzerstört blieben. In Fürth trafen sich Grete Weiser, Hans Richter, Hedi Finkenzeller, Carl Löwitz und Theo Lingen, um nur einige Namen zu nennen. Die genannten Schauspieler hatten ihren Stammtisch im Café Fürst und verprassten hier ihre Brotmarken.

Gegenüber dem Café Fürst befindet sich das Anwesen Nr. 5: Geburtshaus von Ludwig Erhard. Der traf sich nach getaner Arbeit nachmittags regelmäßig mit seinem Duzfreund Max Grundig im Café Fürst zum Karten- und Billardspielen. Auch Gustav Schickedanz, der Begründer des Versandhauses Quelle, war ein alter Freund von Karl Fürst senior. Max Grundig eröffnete im Haus Nr. 4 sein erstes Radio-Geschäft, wozu er aufgrund seines Alters einen Vormund brauchte. Erst später wechselte Grundig in die Schwabacher Straße Nr. 1, wo noch bis vor kurzem ein Radiogeschäft zu finden war. Die (Fürst-)Bekanntschaft mit Ludwig Erhard legte mit einen Grundstein zum kometenhaften Aufstieg des Hauses Grundig: Erhard als Wirtschaftsminister sorgte dafür, daß Grundig den Zugriff zu einem Wehrmachtslager mit Elektroröhren erhielt, und das zu einem Zeitpunkt, als die Konkurrenz mangels Röhren noch gar nicht produzieren konnte.

Das Aus für drei Generationen Café Fürst wurde 1986/87 eingeläutet. Die Fürther Stadtverwaltung forderte Karl Fürst auf, das Haus im Rahmen des Denkmalschutzes zu renovieren. Die dringend notwendige Renovierung wurde aufgrund der Auflagen des Denkmalschutzes für die Familie Fürst unerschwinglich. Karl Fürst verkaufte das Haus im Frühjahr 1988 an die Stadt Fürth. Unter dem letzten Pächter Yogi Wolff erlebte es ab Ende 1988 noch einmal eine Blütezeit als Kleinkunstbühne und Treffpunkt der Fürther Szene, abgestürzte oder im Absturz befindliche Intellektuelle fanden hier für kurze Zeit eine Heimat und ein Asyl. Im September 1995 wurde das Café Fürst im Rahmen der U-Bahn-Baumaßnahmen abgerissen.

 

Fischhäusla

Auch das städtebaulich markante Anwesen Würzburger Str. 1 war mit gelebter Fürther Geschichte verbunden und wurde ebenfalls im Rahmen des U-Bahn Baus abgerissen. Aus dem Jahre 1712 datiert der Vorgängerbau des Fischhäuslas, Grundmauern und Kellergewölbe des späteren Baus waren wohl noch aus dieser Zeit. 1799 und 1803, in Fürths preußischer Zeit, übernachteten König Friedrich Wilhelm III und seine Gemahlin, die schöne Luise, in der benachbarten Mühle anläßlich einer Musterung der auf der Hard zusammengezogenen Truppen der Fränkischen Fürstentümer.

1864 wurde dann auch der Stilwechsel vom Klassizismus zum Gründerstil an diesem Rednitzufer deutlich, das damals wiedererrichtete Fischhäuschen erschien neogotisch angehaucht, worauf einerseits der Giebel und andererseits die Fensterchen des überbordenden, holzverkleideten Kellerteils hinwiesen (die Orginalform dieser Fensterchen ähnelte einem Element des gotischen Maßwerks, das von Kunsthistorikern übrigens generell "Fischblase" genannt wird). Der Übergang vom Klassizismus zum Gründerstil mit seinen zumeist pompösen, neobarocken Formen war ja vor allem Ergebnis des wachsenden Neureichtums in Industrie und Handel, der industriellen Revolution in Deutschland. Gerade das Stadtbild von Fürth hat diese Entwicklung relativ einheitlich geprägt. Deswegen stand das Fischhäusla stellvertretend für diese stadtprägende Phase.

Und ansonsten ...

Der Goldene Schwan - erbaut 1681 - wurde zwar 1979 (letztmalig) renoviert, verfällt aber bekanntlich seit Jahrzehnten. Das Wirtshaus wird nicht mehr als solches genutzt. Der Goldene Schwan hatte das "Ausspannrecht" und deswegen einen großen Hof, Fuhrwerke und Pferde konnten über Nacht abgestellt werden. Die Gaststätten am historischen Fernhandelsweg nach Frankfurt profitierten davon, daß früher kein Fremder innerhalb Nürnbergs Mauern übernachten durfte. Das Wahrzeichen hatte ein GI kurzzeitig entwendet und in seinem Schlafzimmer verwahrt, wurde aber wiederbeschafft und auf Kosten des Altstadtvereins neu vergoldet.

Das Duckla hat seinen Namen vom jüdischen Ritualbad im Keller, eigentlich Mikwe, in Franken jedoch auch Ducke genannt. In strenggläubigen Familien sollten sich Frauen nach der Monatsblutung rituell reinigen, und zwar in "natürlichem" Wasser, das noch nicht durch irgendwelche Röhren geflossen sein durfte. An der Fischergasse ging bis 1961 direkt die Pegnitz vorbei, so daß im Keller das Grundwasser anstand.

Früher war es nur ein Katzensprung von der Stadt Fürth bis zur Stadt New York, die beiden Kneipen standen in Sichtweite zueinander am Gänsberg. Das symbolisierte auch die engen Wirtschaftbeziehungen zwischen Fürth und den USA vor dem Ersten Weltkrieg, vor allem Fürther Spiegel gingen nach Übersee.

Bemerkenswert ist weiterhin die Holzdeke im Gasthaus Sieben Schwaben (Otto Seeling Promenade); aufgrund teilweise jüdischer Aphorismen wurde sie in der Nazizeit übermalt, ist aber wieder freigelegt, wenn auch nicht ganz unbeschädigt. Die Kneipe "Zur Zukunft" (Lange Straße) im Jugendstilhaus verweist auf das, was prägend für die Zeit von 1871 bis 1914 war und mit dem Jungendstil im "Stahlgewitter" (Ernst Jünger) des Ersten Weltkrieges vergangen ist: der allgemeine Glauben an eine bessere Zukunft.

Im Zweiten Weltkrieg dienten manche Kneipen als Notschulen (Hexenhäusle), andere zur Produktion mit Hilfe ukrainischer "Fremdarbeiterinnen" (Roter Ochse in Vach) mancher Felsenkeller als Luftschutzraum (Wolfschlucht). Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner im April 1945 rauschte in den Blauen Affen (Flößaustraße) noch eine Artilleriegranate "Made in USA". Die Wehrmacht der braunen Affen sprengte derweilen die halbe Hardhöhe, alle Brücken und den Turm auf der Alten Veste. Die legendäre Wirtin Mandel des Pfarrgartens verlor selbst am Tage der Besetzung (19.4.1945) nicht ihre Courage: Als zwei voll bewaffnete GIs mit den Worten "We want beeeer!" hereinbrachen, antwortete sie: "Ich hob a Beeer, ober du net!" Weiterer Kommentar von Frau Mandel: "Mensch, däi homm Nerven. Wolln a Bier - und a wer zohlt'n des?".

Noch ein paar Worte zum Stadtparkcafé: Ursprünglich stand ein Stadtpark-Restaurant dort, wo sich heute die Freilichtbühne befindet. Das Restaurant von 1897 wurde 1938 abgerissen, zur Landesgartenschau 1951 entstand die widersprüchliche Architektur der Milchgaststätte. Das Haus selbst ist im traditionellen Stil ausgeführt, ganz anders der Anbau: "Der überdachte Freisitz ist mit seinem geschwungenen Dach, den schlanken Säulen und dem leichten Geländer ein Beispiel für die `swinging fifties', die Phase der Nierentische und Tütenlampen" (Barbara Ohm). Der massive Bau, die Schleppgaube mit den kleinen Fenstern wurde kombiniert mit der leichten, offenen Bauweise der 50er Jahre. Der Ausdruck völkischer Vergangenheit trifft hier architektonisch auf die hoffentlich weltoffene, multikulturelle Zukunft.

Zu den Kneipen "Blaue Glocke", "Falken's Maze" und "Caesar" verweise ich auf gesonderte Artikel.

 

Die Grüne Tanne in Jena

Auch die "Grüne Tanne" in Jena hätte das Schicksal des Fürther Café Fürst erlitten, wenn nicht ein bürgerfernes Regime durch die Bürger weggefegt worden wäre.

Die "Grüne Tanne" in Jena hat allerdings erhebliche Bedeutung für die deutsche Geschichte: Am 12. Juni 1815 wurde hier die Jenaer Urburschenschaft gegründet. Seinerzeit waren die Burschenschaftler Träger progressiven Gedankengutes, und sie trugen 1817 den Gedanken von Freiheit und Einheit der deutschen Nation auf die Wartburg und von dort nach ganz Deutschland. Der rot-schwarze Banner (mit goldenem Rand) der Burschenschaften (nach den Uniformfarben der Lützowschen Freikorps während der Befreiungskriege gegen Napoleon) ist zudem indirekt Ursprung der deutschen Nationalfarben.

Überregionale Bedeutung erhielt die "Grüne Tanne" auch durch den Aufenthalt Goethes (1817/18) sowie die Auftritte Clara Zetkins (1897) und August Bebels (1899). Durch mangelnde Pflege und das Unterlassen jeglicher Unterhaltungsmaßnahmen nach 1945 hatte sich der Bauzustand so verschlechtert, daß sie 1975 zur Streichung von der Denkmalliste freigegeben wurde. Die zuständigen Stellen wandten das in der DDR wie in Fürth so beliebte Prinzip "Restnutzung bis zum Verfall" an. 1980 und 1986 wurde das Haus auch nicht mehr auf die Denkmalliste gesetzt. Ein Professor der Hochschule Jena und eine Gruppe von Universitätsangehörigen starteten eine Unterschriftensammlung für die Erhaltung des geschichtlich bedeutsamen Bauwerkes und wurden dafür gemaßregelt. Die Rettung kam erst, als das autoritäre Regime von den Bürgern auf den Abfallhaufen der Geschichte gekarrt wurde.

Die Stadt Jena unternahm alle Anstrengung, die Kneipe wiederherzustellen und fand dabei einen Verbündeten: Die Jenaer Burgkellerburschenschaft Arminia war - nach dem Verbot 1935 bis 1945 - ins Mainzer Exil gegangen und hatte sich dort 1950 rekonstituiert. Die Burschenschaft zögerte nicht, alles zur Wiederherstellung der "Grünen Tanne" zu unternehmen, so daß sie am 10. Juni 1994 wiedereröffnet werden konnte. Zur Wiedereröffnung gratulierten unter anderem die Stadt Jena, die Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Thüringer Ministerpräsident Vogel.

Man sieht, die Kneipe ist durchaus gesellschaftsfähig. Auch in Fürth sollte sich niemand zu schade sein, die Fürther Kneipenkultur zu unterstützen.

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Gesehen in Fürth im August 1995: Die Wende in der DDR-Kneipenkultur kündigt sich an. Foto: A. Mayer

 

(veröffentlicht erstmalig 1995, geringfügige Textanpassung 2016)