Alexander Mayer

Fürth 2002

 

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Fränkisches Jerusalem?

2002 führte ich ein „Abschiedsinterview“ mit Bernhard Purin. Im Jahre 2004 hatte Daniela Eisenstein seit zwei Jahren die Leitung des Jüdischen Museums Franken in Fürth inne. 2004 war das Museum in eine finanzielle Krise geraten, die diese Einrichtung in ihrer Existenz als international anerkannte Institution bedrohte.


Alexander Mayer (AM): Frau Eisenstein, wie fühlen Sie sich hier in Fürth, haben Sie sich eingelebt?

Daniela Eisenstein: Ich habe mich in der Zwischenzeit gut eingelebt. Die Arbeit ist erfolgreich, wir haben ein neues Kapitel aufgeschlagen, alte Streitereien haben sich erledigt. Ich habe auch kein Interesse, an Diskussionen anzuknüpfen, die ich persönlich nicht miterlebt habe. Das wäre eine Verschwendung von Energie. Die sollten wir stattdessen lieber in die Museumsarbeit stecken.

Daniela Eisenstein leitet das Jüdische Museum Fürth Franken. Foto: A. Mayer

AM: Was sind die Schwerpunkte der Museumspädagogik mit Schulen und Jugendlichen am Jüdischen  Museum?

Eisenstein: Es gibt drei Schwerpunkte, erstens die Vermittlung der jüdischen Geschichte und zweitens des jüdischen Lebens. Drittens über das spezifisch jüdische Thema hinaus die didaktische Anbindung an aktuelle Fragen kulturell-religiöser Minderheiten in Deutschland. Gerade heute, also in einer Zeit, in der Rechtsextremismus und Antisemitismus wieder in zunehmendem Maße beunruhigen, ist die Arbeit mit Jugendlichen und Schulen sehr wichtig.

AM: Andere Schwerpunkte der Museumsarbeit?

Eisenstein: Die Vermittlung per se. Das heißt Wechselausstellungen und Veranstaltungen. Darüber hinaus müssen wir uns stärker mit der Provenienzforschung und der genealogischen Forschung beschäftigen, sofern die Mittel hierfür gesponsert werden können.

AM: Wie würden Sie die Stellung und die Geltung unseres Museums einschätzen?

Eisenstein: Das Museum nimmt in der regionalen Bildungs- und Kulturlandschaft eine einzigartige Stellung ein. Wir leisten in der Bildungsarbeit, der museumspädagogischen Vermittlung jüdischer Geschichte und Kultur gerade bei Jugendlichen und Schulen Pionierarbeit. Ein jüdisches Museum in  Deutschland hat einen völlig anderen Stellenwert wie ein entsprechendes  Museum in den USA. In Deutschland besteht das Bedürfnis, Einrichtungen zu schaffen, die an die einstige jüdische Geschichte und Kultur erinnern, also sie zu erforschen, zu bewahren und zu vermitteln, aber auch die Aktualität und Vielfalt jüdischen Lebens heute zu zeigen. In Franken wie in Schwaben gab es ein besonders reiches jüdisches  Leben, wie es in anderen Teilen Deutschlands nicht unbedingt der Fall war. Fürth entwickelte sich nach der Vertreibung der Juden aus Nürnberg 1499 zu einem wichtigen Zentrum jüdischen Lebens in Süddeutschland.

AM: Wie sehen Sie unser Museum im nationalen Vergleich?

Eisenstein: Drei jüdische Museen spielen in der Oberliga, wenn ich das so ausdrücken darf. Zunächst natürlich Berlin, dann ist Frankfurt zu nennen, das erste jüdische Museum in Deutschland, und das Jüdische Museum Franken Fürth und Schnaittach. München wird nach seiner Eröffnung in drei Jahren ebenfalls eine prominente Rolle spielen.

AM: Wie wird das Fürther Museum international wahrgenommen?

Eisenstein: Die Ausstellungskonzeption hat in internationalen Fachkreisen hohe Anerkennung gefunden - Sowohl inhaltlich wie auch ästhetisch ist die Konzeption Jüdisches Museum Franken hervorragend. Ich erhalte auf internationalen Kongressen stets ein hervorragendes Echo. So zuletzt in New York und Berlin auf der Tagung des Council of American Jewish Museums und der Association of European Jewish Museums.

AM: Reicht es aus, überwiegend das reiche jüdische Leben darzustellen, vielleicht sind die Reaktionen der Umwelt gerade in Deutschland wichtiger?

Eisenstein: In Bezug auf die NS-Zeit ergänzen sich das Dokumentationszentrum in Nürnberg und das Jüdische Museum Franken. Während das Dokumentationszentrum die „Täter“- Perspektive thematisiert, bieten wir eine innerjüdische Sicht. Ich setze hier auf eine verstärkte Kooperation durch gemeinsame Veranstaltungen,  Symposien und ähnliches.

AM: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem reichen jüdischen Leben in Franken und den sehr hohen Wahlergebnissen der NSDAP in Franken?

Eisenstein: Ich kann da kein abschließendes Erklärungsmuster abgeben. Ein Phänomen des Antisemitismus ist, das er auch ohne Juden funktioniert. Tatsache ist jedoch, dass die reiche jüdische Geschichte Frankens zerstört wurde. Als Jüdisches Museum sehen wir es als unsere Aufgabe, an diese Geschichte zu erinnern. Wichtig dabei ist, dass sie nicht losgelöst, sondern als integralen Teil der deutschen Geschichte vermittelt wird. Man kann das beispielsweise sehr gut in der Alltagsgeschichte demonstrieren, so etwa anhand von Sprachgewohnheiten, wie etwa in Franken das „Lachoudische“, aber auch anhand der Beteiligung deutscher Juden am politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Geschehen in Deutschland.  

AM: Wie ausgeprägt war die vielzitierte Fürther Sonderstellung?

Eisenstein: Die ursprüngliche Bezeichnung bayerisches Jerusalem war nicht positiv behaftet, Der Wiener Satiriker Saphir beschrieb Fürth abfällig als „bayerisches Jerusalem“. In den 1980er Jahren wurde der Begriff von den  Medien entdeckt.  Schließlich setzte sich der Begriff „Fränkisches Jerusalem“ durch, diesmal mit einer positiven Konnotation. Ein gutes Beispiel, das  eindrucksvoll demonstriert, wie jüdische Geschichte und Kultur heute als Projektionsfläche funktionieren kann. Fürth war und ist ein Ort, an dem kulturellreligiöse  Minderheiten leben. Diese Erfahrung prägt eine Stadt - macht sie aber nicht automatisch toleranter als andere Städte.

AM: Zurück zum Museum, welche  Funktionen soll es erfüllen?

Eisenstein: Es soll sammeln, bewahren,  forschen und vermitteln. Leider gibt es bei manchen nach wie  vor die antiquierte Vorstellung: Dass in einem Museum Objekte in Vitrinen stehen und das war es dann. Museen sind jedoch mehr, sie sind „Kommunikationszentren“.  Hier kann man sich weiterbilden, sich austauschen, recherchieren, forschen  anhand von Ausstellungen und  Veranstaltungen, mit einem Besuch der Bibliothek, der Nutzung  des Archivs und fachliche Auskünfte der wissenschaftlichen Mitarbeiter.

AM: Ist der  projektierte Anbau illusorisch geworden, welche Funktionen könnte er erfüllen?

Eisenstein: Der Anbau würde auch optisch die Einheit von Ausstellungsbereich, Bibliothek, Archiv und   wissenschaftlicher Arbeit nach außen tragen. Gerade die Bibliothek wird sehr oft von Wissenschaftler aus dem In- und Ausland, aber auch interessierten Fürther Bürgern genutzt. Falls die Stadt Fürth bauen  möchte, so habe ich bereits meine Bereitschaft signalisiert, bei der Spendenakquise mitzuwirken. Der Anbau könnte im Rahmen der „sozialen Stadt“ realisiert werden. Das hieße, 60% der Kosten würden  Subventioniert werden. Die Entscheidung  müsste noch dieses Jahr fallen, sonst verfällt diese Möglichkeit. Das Grundstück würde dann noch über Jahre  eine hässliche Lücke in der Stadtlandschaft bilden.

AM: Inwieweit bedrohen die diversen finanziellen Kürzungsvorschläge die Arbeit des Museums?

Eisenstein: Es liegen derzeit drastische Kürzungsvorschläge vor. Schon jetzt sind wir unterbesetzt, schaffen es jedoch die Kernbereiche unsere Arbeit mehr oder weniger abzudecken - von der personellen Besetzung gleichen wir einem Wagen mit vier Reifen ohne Ersatzrad. Wenn ich den Wagen fahren will, kann ich keinen Reifen abmontieren. Kürzungen habe ich bereits letztes Jahr vorgenommen. Jede weitere Kürzung gefährdet den Fortbestand der Museumsarbeit und käme einer verzögerten Schließung gleich. Das heißt keine Wechselausstellungen, keine Veranstaltungen und Bildungsarbeit. Ein Museum, das nur noch am Wochenende geöffnet hat. Unser Museum hat nun Mal eine bestimmte Größe mit seinen zwei Häusern in Fürth und in Schnaittach. Insgesamt bespielen wir 750 Quadratmeter Ausstellungsfläche - ich kann nicht einfach eine Ecke abreißen und es kleiner machen. Ich hoffe, dass die verantwortlichen Politiker, in den kommenden Hauhaltsklausuren eine vernünftige Entscheidung treffen, das Museum auf ein gesundes finanzielles Fundament zu setzen, damit wir Planungssicherheit haben. Fürth wäre übrigens das erste Jüdische Museum in Deutschland, wo das Leistungsspektrum so drastisch eingeschränkt werden würde.

AM: Böse Zungen behaupten, manche wollen aus dem Museum ein ehrenamtliches Heimatmuseum mit jüdischem Schwerpunkt machen. Abgesehen davon: Im Rundfunkmuseum gibt es außer dem Leiter keinen wissenschaftlichen Mitarbeiter [siehe gesondertes Interview, Anm. Red.]. Was sagen Sie dazu?

Eisenstein: Im Gegensatz zum Rundfunkmuseum oder anderen kulturhistorischen Museen bewegen wir uns bei der Erforschung und Vermittlung jüdischer Geschichte und Kultur auf emotionalem Terrain. Ehrenamtliche Mitarbeit an Museen ist ohne Frage eine Bereicherung, aber die inhaltliche Arbeit muss professionell betrieben werden. Das heißt mit Mitarbeitern, die die entsprechende wissenschaftliche und museumspädagogische Ausbildung haben. Nur so kann annähernd die objektive Distanz zum Forschungsobjekt garantiert werden. Stellen Sie sich vor, wir würden statt ausgebildete Ärzte oder Anwälte, Leute in den Krankenhäusern und den Gerichtssälen einsetzen, die keine universitäre Ausbildung haben, sondern alles im Selbststudium erlernt haben?

AM: Sehen Sie angesichts der generell schlechten Allgemeinstimmung in Deutschland auch eine abnehmende Lust, sich dem „leidigen“ Thema Judentum zu widmen?

Eisenstein: Nein, ich sehe in der deutschen Gesellschaft nach wie vor ein großes Bedürfnis, sich mit der Geschichte und Gegenwart jüdischer Kultur zu beschäftigen. Es ist auch allemal verständlich, wenn sich Deutsche für die NS Geschichte und der Schoa interessieren. Denn sowohl die schönen wie auch die Schattenseiten der Geschichte gehören zur nationalen Identität eines Landes.

Interview: Alexander Mayer