Alexander Mayer

1995

 

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1995


 

Gegenpol zum gewachsenen Viertel St. Michael:

der geplante Gänsberg

 

 

 

 

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Gänsberg-Planung Ende der 60er Jahre.

Der Wert des Altstadtviertels St. Michael läßt sich durch das Schicksal des Gänsberges verdeutlichen. Der Gänsberg hieß so, weil man hier die Gänse zum Fluß hinuntertrieb. Auch Weinpflanzungen sind verbürgt (1449), der Wein wurde allerdings mit Honig und Gewürzen gemischt. So verwundert es nicht, daß die Fürther für Gäste lieber Wein aus der Rheingegend nahmen. Im Dreißigjährigen Krieg verwilderten die Rebstöcke, und so wurden hier nach den Verwüstungen des Krieges in aller Eile Häuser erstellt. Schon im 18. Jahrhundert belegte die Obrigkeit die Häuser aufgrund ihres behelfsmäßigen Zustandes nur mit 50 Prozent der üblichen Steuer.

Der Gänsberg blieb dann 250 Jahre nahezu unverändert, ein malerisches Idyll mit einem eigenen Milieu, aber auch mit Problemen sozialer wie baulicher Art bildete sich heraus. Ende der fünfziger Jahre, als die Wohnungsnot der Nachkriegszeit überwunden war, beschloß der Stadtrat den "Schandfleck" auszumerzen. Ein Gutachten von 1960 ergab folgende Einstufung der Bausubstanz: 78 % älter als 250 Jahre, 83 % ohne Kanalanschluß, 70 % abbruchreif, 20 % nicht erhaltenswert. 1963 wurde der Gänsberg als Modellvorhaben zur Erneuerung von Städten ausgewählt. Seinerzeit bekamen die Kommunen nur Zuschüsse beim Abriß, im Baugesetz war eine gewisse Vorentscheidung zur Flächensanierung (= Flächenabriß) enthalten. Objekt- und Flächensanierung werden erst seit 1971 im Gesetzestext gleichwertig behandelt. Das Rathaus wollte 1963 eine Cityerweiterung (City im Sinne des Geschäftszentrums einer Stadt), Fürth litt unter einem erheblichen Kaufkraftabfluß. 1965 kam es zur Ausschreibung eines Architektenwettbewerbs, nach einem Funktionskonzept der GfK waren zu 70 % Gemeinbedarfsflächen vorgesehen! Weiterhin plante man Stadthalle, Hotel, Kirche, Postamt, Warenhaus, Ladenstraße usw. Es folgten der Grunderwerb, die Umsetzung der Bewohner und die Freilegung der Grundstücke. Die dort wohnenden Kleinverdiener zahlten seinerzeit Mieten von 20-50 Mark, im Neubau mußten sie nun 175-200 Mark hinlegen. Abgesehen davon wurden sie aus ihrem gewohnten Lebensumfeld herausgerissen und unter anderem in den Wohnsilos der Hardhöhe untergebracht. Der Vergleich zu ähnlichen Vorgehensweisen in der DDR drängt sich geradezu auf.

 

1973 stellte der Stadtrat das Scheitern des ursprünglichen Konzeptes fest. Es waren aber schon 215 Grundstücke in dem rund 10 Hektar großen Gelände "freigelegt", 132 Häuser abgerissen ("saniert" nach Fürther Art) und 800 Familien hauptsächlich auf die Hardhöhe "verlegt". Nun fanden die Fürther anstelle der verwinkelten Gäßchen eine öde Freifläche vor und benannten sie nach dem damaligen Oberbürgermeister folgerichtig "Scherzerwüste". In den siebziger Jahren mehrten sich - auch unter dem Eindruck des Nachhilfeunterrichts seitens des Altstadtvereins - die Zweifel am Konzept der totalen Flächensanierung. Verschiedene Objektsanierungen (Restaurierung statt Abriß) zeigten, was alternativ möglich war und ist. Eine von den Bausündern oft als "Nostalgiewelle" bezeichnete stilistische Abwendung vom Bild einer "modernen" City und eine Hinwendung zur restaurativ orientierten Architektur setzte ein. Das Scheitern der ursprünglich kommerziell geprägten Pläne am Gänsberg brachte auch eine Umorientierung zur vorwiegenden Wohnbebauung, durch den Druck der Öffentlichkeit entwickelten die Amtstuben und Architekturbüros einen neuen Zielbegriff der Stadtentwicklung und der Sanierung: nicht mehr eine Cityerweiterung, sondern die Wohnwertsteigerung in der Innenstadt sowie die Orientierung auf das Wohnumfeld wurden Ziel des Interesses.

Eine Entwicklung in der gesamten industrialisierten Welt brachte weitere Änderungen: die Stadtflucht. Jeder, der etwas auf sich hielt, versuchte ein Häuschen im Grünen und damit im Umland der Ballungszentren zu finden. Es bildete sich der sogenannte "Speckgürtel" um die großen Städte aus: die gutverdienenden Bürger zahlten nun in den kleinen Gemeinden ihre Steuern, belasteten aber um so mehr die Infrastruktur (v.a. Straßen) der Zentren, in denen sich wiederum die sozial schwachen Bevölkerungsgruppen konzentrierten. So stiegen in den Zentren die Kosten (Sozial- und Infrastrukturausgaben), während gleichzeitig die Einnahmen sanken (durch die Abwanderung Besserverdienender). Ein neues Modellprogramm des Bundesbauministeriums (Ziel: Stopp der Stadtflucht) versuchte Ende der siebziger Jahre dem entgegenzuwirken und den verdichteten Eigenheimbau in den Kernstädten zu forcieren. 1978 fand im Hinblick auf diese neuen Fördergelder ein neuerlicher Architektenwettbewerb statt, das Bebauungskonzept wurde in die Hände verschiedener Architekten gegeben, wobei als Vorgabe die kleingliedrige Bebauung galt und das heraus kam, was heute zu sehen ist und zumindest in der Grundstruktur als gelungen angesehen werden kann.

 

 

 

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Tatsächliche Gänsberg-Bebauung im Grundriß, links Stadthalle. Die historische Struktur ist aufgelöst.

 

Dennoch: Mit dem Gänsberg war - trotz aller Probleme - ein einzigartiges Stück von Fürth verschwunden. Trotzdem wollen wir auch nicht die Augen vor der finanziellen Erfolgsbilanz der Gänsbergbebauung verschließen: Nach meiner überschlägigen Berechnung konnten am Gänsberg 700 Wohneinheiten für ca. 120 Millionen Mark erstellt werden. Dabei wurde eine staatliche Förderung von gut 42% erreicht; das sind immerhin 50,4 Millionen Mark, die aus staatlichen Töpfen nach Fürth flossen. Weitere 5% der Baukosten schoß die Stadt zu, so daß die dortigen Bewohner zu sehr billigen Wohnungen kamen. Ob vor allem die günstigen Eigentumswohnungen tatsächlich an die Fürther gingen, die auf besonders preiswerten Wohnraum angewiesen waren, steht auf einem anderen Blatt, das mir abhanden gekommen ist.

Bei der Bewertung der Gänsberg"sanierung" muß folgendes bedacht werden: auch für das St. Michaels-Viertel gab es ähnliche Überlegungen. Dieser unersetzliche Verlust für die Stadt wurde seinerzeit ohne Skrupel angedacht.

Die zweifelhafte Ästhetik heutiger Neubauten kann mit der Vergangenheit auch nicht ansatzweise mithalten. Heute muß preisgünstig gebaut werden, für handwerkliche Spitzenleistungen ist kein Geld mehr da. Im funktionalen und technokratischen Zeitalter nimmt die Ästhetik nur noch einen Nischenplatz ein.


Alexander Mayer